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Hingeschaut – action medeor Blog Infografik & Interview: Über welche Krisen berichtet wird und über welche nicht

Ist das mediale Interesse an einer Krise sehr ausgeprägt, wie beim Erdbeben in der Türkei und Syrien, fällt auch die Unterstützung für unsere Arbeit merklich höher aus. Wir sprachen mit Kulturwissenschaftler Dr. Ladislaus Ludescher, um herauszufinden, welche Erkenntnisse sich aus der Berichterstattung über Krisen ziehen lassen.

Studie: Berichterstattung in der Tagesschau

In einer Langzeitstudie analysierte Dr. Ludescher alle Beiträge der Tagesschau-Hauptausgaben aus dem Jahr 2022 und veranschaulicht beispielhaft, welch untergeordnete Rolle der Globale Süden in der westlichen Berichterstattung spielt.

Exemplarisch haben wir aus dieser Studie die Daten zu acht unterschiedlichen Ländern aufgeführt. Über einige wurde wenig bis gar nicht berichtet – obwohl sich in den Ländern Krisen ereigneten, die viele Tausend Menschen betraffen: 

  • Pakistan: Flutkatastrophe mit 33 Mio. betroffenen Menschen
  • Somalia: Dürre und Hungerkrise, Terrorangriffe in der Hauptstadt
  • Guatemala: Tropensturm „Julia“, Hälfte aller Kinder unterernährt
  • Südsudan: Überschwemmungen, 8 Mio. Menschen hungern
  • Malawi: Tropensturm „Ana“, Cholera-Ausbruch

Im Interview: Dr. Ladislaus Ludescher

Dr. Ludescher, Sie untersuchen seit vielen Jahren die Medienberichterstattung in Deutschland. Findet im Bezug auf Krisen eine ausgewogene Berichterstattung statt?

Leider ist die Frage eindeutig mit Nein zu beantworten. Entscheidend für die Berichterstattung ist die Frage, wo sich eine Krise ereignet und ob Personen aus dem sogenannten Westen betroffen sind beziehungsweise sie die Auswirkungen spüren. 

Können Sie uns Beispiele geben, die die mediale Vernachlässigung des Globalen Südens verdeutlichen?

Obwohl etwa 85 Prozent der Weltbevölkerung im Globalen Süden leben, entfällt in den sogenannten Leitmedien weniger als 15 Prozent der medialen Aufmerksamkeit auf sie. Das Korrespondentennetzwerk ist im Globalen Süden deutlich weniger dicht ausgeprägt.

Das Fernsehstudio der ARD in Prag zum Beispiel besteht aus zwei Korrespondenten, die für zwei Länder (Tschechien und die Slowakei) mit ca. 16 Mio. Einwohnern verantwortlich sind. Das entsprechende Fernsehstudio der ARD in Nairobi (Kenia) besteht ebenfalls aus zwei Korrespondenten, diese sind jedoch für 38 Staaten in Afrika mit etwa 870 Mio. Einwohnern zuständig.

Welche Gründe sehen Sie für diese Diskrepanz? Interessieren wir uns einfach nicht für den Globalen Süden?

Es ist menschlich, dass man sich zunächst für das interessiert, das einem vielleicht geografisch oder kulturell näher liegt. Allerdings ist es auch schwierig, sich für etwas zu interessieren, von dem man noch nicht gehört hat, weil darüber einfach nicht berichtet wird. Sicherlich spielt der „mediale Diskurszirkel“ eine wichtige Rolle: Die einzelnen Medien berichten häufig über ein Ereignis, weil die Konkurrenzmedien darüber berichten, und tragen damit zur Diskursstabilisierung des jeweiligen Themas bei, was wiederum dazu führt, dass weitere Medien auf den jeweiligen Nachrichtenzug aufspringen.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Krisenberichterstattung? Ist eine Besserung in Sicht?

Leider ist die aktuelle Tendenz negativ. Infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges ist die Berichterstattung über den Globalen Süden in den vergangenen drei Jahren noch weiter in den Hintergrund gerückt.

Dr. Ludescher, danke für das Gespräch!

DANKE

Dass wir in Katastrophenfällen schnell aktiv werden können und die Krisengebiete auch nicht aus dem Blick verlieren, wenn medial nicht mehr darüber berichtet wird, haben wir Spenderinnen und Spendern wie Ihnen zu verdanken!

Wir freuen uns, wenn Sie die Arbeit von action medeor in Kriegs- und Krisenregionen weltweit weiter mit Ihrer Spende unterstützen.

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Helfen ist selbstverständlich

„Würden meine Familie und ich von einer Naturkatastrophe getroffen werden, würde ich mir auch wünschen, dass es Menschen gibt, die uns helfen. Deshalb ist es für mich selbstverständlich, Menschen, die in Not geraten sind, zu unterstützen.”

Heike Wennmacher, Spenderin