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Pressemitteilungen Ein Jahr nach dem Erdbeben: Projektreferentin berichtet aus Nepal

Projektreferentin Margret Müller beim Besuch einer nepalesischen Schule im März 2016.

Projektreferentin Margret Müller beim Besuch einer nepalesischen Schule im März 2016. © action medeor

Margret Müller ist als Projektreferentin bei action medeor verantwortlich für die Projekte in Nepal. Im März reiste sie zuletzt für zwei Wochen in den Himalaya-Staat, um sich ein Bild von der Situation der Menschen zu machen und die weitere Arbeit von action medeor mit den lokalen Partnerorganisationen abzustimmen.

Wie geht es den Menschen in Nepal heute – ein Jahr nach dem schweren Erdbeben?

Ehrlich gesagt, noch nicht sehr gut. Das letzte Jahr war ein hartes Jahr für die Nepalis. Erst zerstörte das Erdbeben die Lebensgrundlagen von 2,8 Millionen Menschen, dann folgte nach einer Regenzeit mit zahlreichen Erdrutschen die Benzinkrise, die monatelang das Land lahmlegte. Die Blockade beeinträchtigt alle Wiederaufbauaktivitäten sehr stark. Die Menschen warten noch auf ihre Unterstützung vom Staat, um ihre Häuser wieder aufbauen zu können, überall leben Menschen in provisorischen Wellblechhütten. In denen ist es im Winter kalt, an warmen Tagen unerträglich heiß und wenn es regnet, wird es innen nass. Der Wiederaufbau ist ein langer, steiniger Weg. Die Nepalis sind zäh und helfen sich in beeindruckender Weise gegenseitig – aber sie brauchen weiterhin unsere Unterstützung.

Was sind weiterhin die größten Probleme?

Das Erdbeben ist das Eine, zu einer Katastrophe wurde es durch die fragile Infrastruktur: Das beginnt bei instabilen Hütten und Gebäuden, wenig Katastrophen-Vorsorge, eine schwach ausgebauten medizinischer Versorgung oder auch schlechten Straßen. Nepal hat viel weniger Kapazitäten, nach so starken Beben wieder auf die Beine zu kommen als andere Länder, die in diesen Bereichen besser aufgestellt sind. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es eine Art politisches Nachbeben nach sich zieht, was den Wiederaufbau entscheidend verlangsamt.

Das Leben für die Menschen ist sehr viel härter geworden im letzten Jahr. Sie haben Traumatisches überlebt. In dieser Situation Energie für einen kompletten Neuanfang zu sammeln ist extrem hart. Gleichzeitig ist scheinbar Alltägliches zur Mangelware geworden. In Kathmandu bedeutet das: stundenlanges Anstehen um Benzin, Kochgas, nur stundenweise Strom, Wasserversorgung nur einmal wöchentlich. In den Dörfern sind oft die Wasserquellen durch das Erdbeben versiegt, viele Straßen verschüttet. Der tägliche Kampf um die Grundbedürfnisse zermürbt und verlangsamt das gesamte Leben.

In welchen Bereichen engagiert sich action medeor in Nepal?

action medeor war sehr schnell nach dem Erdbeben vor Ort und hat in Kathmandu ein temporäres Medikamentenlager aufgebaut. Von dort aus konnten Medikamente und medizinische Materialien an Gesundheitsstationen und medizinische Teams in den betroffenen Gebieten verteilt werden.

Gleichzeitig starteten wir neue Partnerschaften und Projekte mit lokalen Organisationen. Wir bauen sanitären Anlagen an Schulen wieder auf und sensibilisieren Lehrer und Schüler für Hygiene. Im Winter – als die Benzinkrise den Schulbetrieb besonders gefährdete – verteilten wir warme Kleidung, Decken, Teppiche, Sitzkissen und Isoliermatten an die Kinder. Es werden Jugendclubs gegründet, die auch langfristig von unseren Partnerorganisationen vor Ort begleitet werden. In Kathmandu betreiben wir eine Praxis für marginalisierte („unberührbare“) Frauen, die nach dem Erdbeben aus ihren Dörfern in temporäre Unterkünfte in die Hauptstadt kamen. Wir bieten ihnen medizinische Versorgung, Begleitung zu Ämtern, sozial-psychologische Betreuung im Neuanfang, Alphabetisierungskurse und Handarbeitskurse, damit sie auf dem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. In anderen Projekten bauen wir Gesundheitsstationen in abgelegenen Regionen wieder auf oder organisieren Selbstverteidigungskurse, da die Gewalt gegen Frauen nach dem Beben leider sehr zugenommen hat.

Auf meiner letzten Reise im März konnte ich mit vielen Menschen aus unseren Projekten sprechen. Es freut mich zu sehen, dass die Projekte trotz der vielen Herausforderungen im Land gut laufen und die Hilfe wirklich etwas im Leben der Menschen bewirkt.

Plant action medeor, sich langfristig in Nepal zu engagieren?

Wir haben in Nepal sehr zuverlässige und kompetente Partner gefunden und planen weitere Projekte, um Nepal auch weiterhin zu unterstützen. Die Arbeit mit lokalen Organisationen hat für action medeor sehr hohen Stellenwert, da sie Kapazitäten vor Ort stärkt und damit die Hilfe langfristig bleibt. Allerdings hängt die Planung und Finanzierung von Projekten von verschiedenen Faktoren ab. Bis Ende 2017 werden wir unsere Partner aber auf jeden Fall beim Wiederaufbau unterstützen. Aufgrund der schwachen staatlichen Strukturen und des hohen Bedarfs insbesondere im Gesundheitsbereich sehen wir aber dringenden Handlungsbedarf über diese Zeit hinaus und streben daher eine langfristige Ausweitung unserer Projektaktivitäten an.

Welche Erlebnisse von Ihren Reisen nach Nepal bleiben besonders in Erinnerung?

Zum Weltfrauentag im März haben wir mit dem gesamten Team der Praxis in Kathmandu ein großes Event für Patientinnen organisiert. Es ging um Menstrualhygiene, Mutter-Kind-Gesundheit und Gewalt an Frauen - eigentlich Tabuthemen in Nepal. Obwohl über 100 Frauen anwesend waren, stellten viele Frauen Fragen oder berichteten von ihren Erlebnissen. Es war wirklich schön zu sehen, dass unsere Praxis diesen Frauen endlich einen Ort gibt, an dem sie ihre Geschichten teilen können, verstanden und gestärkt werden. Dieser Tag und die Frauen, die ich dort kennenlernen durfte, haben mich sehr beeindruckt.